Wie alles begann
Nachdem ich in Montenegro vollkommen neue Gewässer erkundet habe, sollte meine zweite Reise im November in minimal vertrautere Gefilde gehen. Vertraut insofern, als dass ich bereits einige Male in England war und die sprachliche Hürde natürlich auch etwas leichter zu überwinden ist.
Vor einigen Wochen – vollkommen im Lauffieber überlegte ich mir, wo es wohl in Europa noch einen Halbmarathon geben und wie ich das mit Urlaub verbinden könnte. Ein Glück gibt es die Seite https://www.runme.de – diese durchstöberte ich nach den Kriterien:
1) Zeitlich nicht zu nah an meinem 1.Halbmarathon Anfang November
2) Irgendwie günstig erreichbar
3) Irgendwie bezahlbar
Nach einigem Suchen fand ich den Conwy Halbmarathon, welcher laut Website zu den 5 “most scenic” Halbmarathons der UK gewählt wurde. Das klang doch schon mal überzeugend. Weiter gehts. Wo liegt eigentlich dieses Conwy? Mist – irgendwo in Wales – nichts Größeres in der Nähe – oder vielleicht doch? – Manchester.
Mal sehen, was Ryanair so zu bieten hat. Flüge nach Manchester für diesen Zeitraum: 60 Euro hin und zurück – sweet.
Aber Achtung – diesen Fehler habe ich einmal zu oft gemacht: Erstmal Hostelpreise checken, bevor man einen Billigflug bucht. Hier noch einmal meine Tipps, wie man allgemein günstig verreisen kann.
Hostels in Manchester ca. 25 Euro die Nacht. Okay das ist machbar. Aber was ist in Conwy. Keine Hostels verfügbar. Die Hotels und Bed n Breakfasts kriegt man kaum für weniger als 100€ die Nacht. Was nun?
Couchsurfing habe ich aus Alters- und Komfortgründen eigentlich bereits abgeschrieben – aber einen Versuch ist es doch wert. Es gibt nicht viele “Hosts” in der Umgebung aber einen mit ausreichend Bewertungen – auch von alleinreisenden Damen. Dem schreibe ich mal. Der hat sogar selbst ein Bild von sich beim Laufen drin.
Schnell ist ein Text verfasst und wenig später erhalte ich bereits die Antwort: “Hi Nina. Yes no problem you can stay. I’m considering doing the same run. But if I don’t do it I’ll get you there and back.”
Kurz und knackig und super nett – denn der Lauf wäre immer noch 1,5 Stunden fußläufig von dem Ort entfernt.
Also kann gebucht werden.
Da ich natürlich nicht einfach nur für den Halbmarathon dorthin will, plane ich genügend Zeit ein, um sowohl Manchester als auch Conwy und Umgebung ausreichend erkunden zu können.
Ab geht die Reise
Am Donnerstag Morgen steige ich mit meinem etwas zu vollen Handgepäck (Kleidung für 5 Tage Urlaub im November plus Laufsachen) in Schönefeld in den Flieger. Alles läuft nach Plan und ich steige mit einer Stunde Zeitverschiebung im etwas wärmeren und regnerischen Manchester aus. Vom Flughafen kommt man locker in einer halben Stunde in die Innenstadt nach Manchester Piccadilly. Schnell wird mir wieder bewusst, warum ich mich auf England gefreut hatte. Die Höflichkeit, der etwas wildere kulturelle Mix, die Backsteinhäuser, ein Hauch Amerika-Abklatsch. Nach nur 5 Minuten bin ich im Hatters Hostel, wo ich in einem etwas veraltet wirkenden 10-Bett-Frauen-Dorm untergebracht bin. Immerhin nur Frauen, immerhin keine 3-stöckigen Betten, wie in vielen Londoner Hostels. Ich verbringe ungefähr 2 Minuten in meinem Zimmer, bevor ich das Hostel wieder verlasse. Die wenigen hellen Stunden müssen genutzt werden. Erster Punkt auf der Tagesordnung: Schirm kaufen. Danach ging es kurz durch die Innenstadt und direkt wieder heraus Richtung Park. Den hatte ich mir vorher herausgesucht und dafür wollte ich die letzten Sonnenstunden nutzen. Das schaffte ich auch ganz knapp. Mit vollkommen durchnässten Füßen erkundete ich den schönen Park bei Sonnenuntergang. Auf dem Rückweg durchlief ich die verschiedensten Viertel der Randstad. Dabei fiel mir zum einen auf, dass die Ladenzeilen zu 95% aus Fast-Food und Kuchengeschäften bestanden und, dass ich aus Selbstschutzgründen niemals in diesem Land leben darf. Doch dann sendete mir England noch ein Zeichen: ich kam am Nike-Factory Store vorbei. Naaa gut. Das schaute ich mir mal genauer an. Auch dort waren die Menschen sooo freundlich und ich kurz darauf ein paar Pfund ärmer.





Was ich ebenfalls an England liebe, sind die Supermärkte: es gibt einfach alles in fertig und abgepackt: Sommerrollen – Cookies – Gemüsestreifen – Garnelen Salat – Quinoa-Salat – kaltgepresste Säfte – einfach alles. Ich versorgte mich also für den Abend und meinen geplanten Kinobesuch. In Berlin gehe ich fast nie ins Kino – aber so allein auf Reisen, in einem Land dessen Sprache ich verstehe – da schien mir ins Kino gehen doch irgendwie optimal. Außer, dass mir Conny verboten hatte, den neuen Harry Potter ohne sie zu sehen (vollkommen gerechtfertigt natürlich) und ich absolut keine Ahnung hatte, was sonst so lief. Ich erinnerte mich noch an Girl on the train, den ich eigentlich mit Caro gucken wollte. Ich befragte sie zu ihrer Meinung: nur so mittel aber gar nicht gruselig (denn das war mir wichtig). Also rannte ich gegen 20 Uhr zum 4 Kilometer entfernten Kino und schaute Girl on the train. Gar nicht gruselig – von wegen. Ich war kurz davor, mit dem Taxi zurück ins Hostel zu fahren. Gefallen hat mir der Film dennoch.
Museen, viel Regen und Weihnachtsmärkte
Der nächste Tag sollte eigentlich auch mit einem längeren Spaziergang zu einem Landschaftspark beginnen. Allerdings regnete es so heftig, dass mein billig-Schirm nicht mal annähernd mitspielen wollte und ich dann nach 30 min laufen auch nicht mehr.
Ich machte kehrt und ging ins Museum. Zuerst besuchte ich das Fußball-Museum – muss man ja gesehen haben, wenn man in Manchester ist. Aber so interessant, dass ich irgendetwas nachhaltig mitgenommen hätte, war es dann doch nicht. Danach lief ich ein wenig durch die Stadt, das Wetter hatte sich beruhigt und die Sonne kam sogar heraus. Ich schlenderte einen der vielen nach deutschem Beispiel geschaffenen Weihnachtsmärkte entlang und landete beim Rathaus, an dessen Fuß ein riesiger, fetter Santa trohnte.
Alles wirkte ein wenig surreal zumal Mitte November. Weiter ging es zur Bibliothek, die von innen allerdings nicht so spektakulär war, wie sie von außen durch die auffällige, runde Form anmutete.
Toll war dann wiederum das Museum of Science and Industry, welches riesig und wie auch die anderen Museen kostenlos zu besichtigen war. Das Museum besteht aus mehreren riesigen Hallen und gleich zu Beginn landete ich in der Halle, die die Baumwollverarbeitung abhandelte, die anscheinend zu großen Teilen in Manchester abgewickelt wurde. Die alten Maschinen wurden einer Gruppe Schaulustiger vorgestellt und ich bekam einen Einblick, wie diese Baumwollstoffe damals eigentlich verabreitet wurden. Nach der spannenden Einführung durchlief ich bestimmt noch 2 weitere Stunden das Museum, welches neben der Baumwollproduktion auch noch die Luftfahrt, die Energieerzeugung und viele Experimente anbot.
Da mir der Kinoabend am Tag zuvor so gut gefallen hatte, plante ich einen weiteren. Dieses Mal sollte es allerdings eher in der Kategorie “Friede Freude Eierkuchen” spielen. Da passte “A street cat named Bob” wunderbar. Dieser Film war wirklich herzzerreißend schön und ich kann ihn wirklich jedem empfehlen (in Deutschland erst ab 2017 im Kino). Etwas beschwingter, als am Abend zuvor ging ich zurück ins Hostel und packte meine Sachen für den nächsten Morgen. Hatte ich erwähnt, dass es ein 10-Bett Frauen Dorm war? Vorurteilsbehaftet, wie ich nunmal bin, nahm ich doch tatsächlich an, dass man es hier nicht mit schnarchenden Wesen zu tun haben würde. Falsch gedacht. Die halbe Nacht suchte ich nach meinen immer wieder herausfallenden Ohropax…
Überfahrt nach Wales
Dafür versüßte mir das Frühstück am nächsten Morgen wieder die Laune – es gab Porridge und Tee – alles, was ich zum glücklich sein brauche. Ich setzte mich zu dem Ami, der mich am Tag zuvor auf mein Buch “Born to Run” angesprochen hatte und wir tauschten wie die Weltenbummler schlechthin Reisetipps (zB über Albanien) aus.

Wenig später zog ich los zum Bahnhof an der Oxford Station, um nach Colwyn Bay in Wales zu fahren. Die Fahrt war schon schön und entspannend – eine Stunde an der Küste lang, davor immer wieder Felder mit Schafen und nichts als Schafen.
Ich stand in regem Kontakt mit dem Couchsurfer, der mich aufnehmen wollte. Er fragte, ob ich es schaffen würde, mich bis 15 Uhr zu beschäftigen, da sie vorher ausgeflogen sein würden. Klar schaffte ich das, abgesehen davon, dass meine Tasche recht schwer und nicht sehr Rücken-freundlich war. Nach einigem Hin- und Her besprachen wir, dass ich meine Tasche einfach im Garten ablegen würde und die beiden großen Hunde würden diese dann bewachen. Wie immer kam alles anders, ich war so fix vom Bahnhof zu ihrem Haus gelangt, dass ich Neil und Iris noch zu Hause erwischte. Schnell legte ich alles ab, ließ mir noch Tipps geben, wo ich langwandern konnte und los ging es. Ich hatte wirklich Glück, das Wetter war genau dann gut geworden, als ich in Wales ankam, wo es außer draußen in der Natur sein nicht viel zu tun gab.
Mein persönliches Highlight war der Besuch des kleinen Gebäudes, an dem “Tourist Information” stand. Ich trat ein und wurde schon etwas verwundert angesehen. Ein jüngerer und ein älterer Herr beobachteten mich. Ich näherte mich und fragte, was ich in der Umgebung denn unternehmen könne. Der Junge war komplett ratlos. Er fragte den Alten, welcher ebenso nicht ganz so genau wusste, was er sagen sollte. “Gut, kein Problem – haben Sie denn eine Karte?” fragte ich. Wieder schauten sie sich ratlos an. “Nein eine Karte haben wir leider nicht”. “Okay, dann verfolge ich einfach weiterhin meinen Plan, nach Llandudno zu wandern” – ich. “Oh, das ist aber sehr weit, bestimmt 3 Meilen” sagte der Alte. – Kein Problem für Nina! Ohne auch nur den Hauch einer neuen Information verließ ich die wohl witzigste “Tourist Information” aller Zeiten.




Also ging es erstmal 2 Stunden an der Küste entlang. Die Umgebung war wunderschön und irgendwann stieß ich auf den “Little Orme” – einen schönen Landschaftspark mit einer Art Krater. Etwas übermotiviert kletterte ich mit meinen quasi profilfreien silbernen Billig-Turnschuhen einen Hügel hoch und erreichte einen Zaun, bei dem mir nicht ganz klar war, ob er mich vom weitergehen abhalten oder potenzielle Schafe vom Abstürzen retten sollte. Ich versuchte mein Glück und erreichte den nächsten Hügel, ich kletterte einige Meter hoch und schaute dann den Berg hinab. Es ging einige Meter bergab – schön an der Felskante und dann ins Meer. Hui. Da wird mir direkt ein bisschen schwindelig. Ich verzichte auf weiteres Bergaufsteigen und begebe mich langsam auf meinem Hintern fortbewegend auf den Rückweg. 20 Minuten später stand ich im nächsten Supermarkt und kaufte mir meine Verpflegung für den Rest des Tages.
Da mir irgendwann ziemlich kalt wurde, setzte ich mich mit meinem Buch ins Cafe, wo ich den Altersdurchschnitt augenblicklich erheblich senkte. Nach einer Stunde zappelten meine Beine wieder und es ging weiter. Ich kam wieder an der “Tourist Information” vorbei, wo mich der Alte schon von weitem entdeckte. Völlig ungläubig fragte er, ob ich wirklich den ganzen Weg gegangen sei und wünschte mir noch einen schönen Tag. Weiter ging es Richtung Seebrücke in Colwyn Bay, welche ich schon entdeckt hatte, als ich mit dem Zug angekommen war. Die Brücke und mich trennte lediglich ein Strandabschnitt. Dachte ich zumindest. Der Strand war ab einem gewissen Punkt abgesperrt und auch der Straßenabschnitt oben war mit hohen Bauzäunen umringt. Ich fragte die einzige Person am Strand, eine ältere Dame mit Hund, wie ich zur Brücke käme. Es stellte sich heraus, dass sie beinahe taub war und dennoch einen großen Gesprächsbedarf hatte. Ich solle einmal versuchen, an einer Stelle durch den Zaun zu kommen und dann die Straße entlangzugehen. Das tat ich auch, bis sich eine automatisierte Ansage anschaltete “Sie befinden sich auf unbefugtem Gelände – bitte verlassen Sie dieses unverzüglich, sonst rufen wir die Polizei” oder so ähnlich. Oops. Kurz überlegte ich, ob ich einfach weiter gehen solle, wollte mich dann aber doch nicht zu sehr mit der walisischen Polizei vertraut machen und so war Zeit für den Heimweg angesagt.

Vor Ort hatte ich dann endlich Zeit, die Familie, die mich netterweise aufgenommen hat, besser kennenzulernen. Ich habe wirklich einen Glückstreffer gelandet. Neil und seine Frau sind sehr gastfreundlich und ich konnte mich direkt wie zu Hause fühlen. Als Halbmarathonvorbereitung bekam ich meine Nudeln und wir aßen alle gemütlich im Wohnzimmer und schauten witzige britische Fernsehsendungen. Ganz nebenbei erkundete ich mich nach dem Pokemon Go Hype in England bei dem Sohn der Familie – Neithan – er erzählte ein wenig und er selbst spiele nicht mehr so viel. Da schaltete sich Neil ein – er war vollkommen begeistert von dem Spiel und so saßen wir 3 Minuten später zu dritt auf der Couch und verglichen unsere Pokedexe 😀 . Relativ früh ging ich dann ins Bett um am nächsten Tag möglichst fit zu sein.
Der Halbmarathon – oder wie ich ihn beinahe von der Toilette aus erlebte
Ich schlief verhältnismäßig gut, am Morgen holte mich die Aufregung dennoch ziemlich ein. Eigentlich habe ich immer – selbst beim unwichtigsten 10km- Lauf, Probleme mit dem Magen. Dann kriege ich nichts runter und muss ständig aufs Klo. Alles dreht sich im Magen um und ich bin ein kleines Nervenbündel. Neil war tatsächlich so lieb und fuhr mich nach Conwy – wo ich erst einmal staunte, da die aus dem 13. Jahrhundert stammende Burg “Conwy Castle” thronte und wirklich atemberaubend aussah. Außerdem teilte er mir nebenbei mit, dass ich mir da ja einen ziemlich schweren Halbmarathon herausgesucht hätte, da es 2,5 Meilen lang bergauf gehen würde. Was?? Na super. Gut, dass ich jetzt keine Panik mehr habe…. Wir holten meine Startunterlagen ab und erkundeten das Gelände.




Es sollten ca. 2500 Läufer an den Start gehen, was man gar nicht so bemerkte. Da ich natürlich sehr rechtzeitig da war, fröstelte ich ganz schön und holte mir bei einem von Helfern organisierten Stand Tee. Dort bekam ich den Tipp, im Souvenirladen auf die Toilette zu gehen, statt eines der unattraktiven Dixi-Klos zu nutzen. Da war ich glücklich. Außer mir war niemand dort und ich hatte vollsten Komfort. Aber es war eben noch eine dreiviertel Stunde bis zum Lauf und 15 Minuten bevor es losging wollte ich dann noch mal auf Nummer sicher gehen. Diesmal war ich allerdings nicht mehr alleine. Vor mir standen ca. 15 Leute. Wenn niemand mehr als eine Minute brauchte, berechnete ich, dann würde es genau klappen. Also wartete ich und wartete. Eine Minute vorm Startschuss erledigte, was erledigt werden musste und rannte passend zum Startschuss in die Menge der Startenden.
Los geht´s
Der erste Kilometer verging wie im Fluge, die Euphorie war groß und die Kulisse malerisch. Doch dann kam Kilometer Zwei und ich bemerkte ein seltsames Gefühl in meinem rechten Bein. Erst dachte ich, meine Socken seien zu eng oder die Schuhe. Es fühlte sich an, als sei es verkrampft und ich musste bei noch nicht mal 2 von 21 km das erste Mal stehen bleiben. Ich versuchte zu dehnen und meine Schuhe zu lockern. Weiter ging es. Ich war nicht in der Lage mein rechtes Bein zu bewegen. Das Linke machte die ganze Arbeit und das Rechte prallte nur so auf. Bum bum bum. Ich war verzweifelt. Das Wandern am Vortag war dieses mal evntuell tatsächlich zu viel gewesen. Immer wieder musste ich stehen bleiben. Ich schickte verzweifelte Sprachnachrichten an Conny und Tim. Bereits bei Kilometer Drei überlegte ich, ob es nicht klüger wäre, umzukehren, denn ich würde die 21km so niemals in der maximal verfügbaren Zeit schaffen. Aber nun war ich extra nach Conwy gereist, habe meine Laufsachen durch halb England geschleppt und wollte auch meinen Couchsurfern nicht erzählen, dass ich dann nach 3km aufgegeben habe. Also biss ich mich durch. Ab km Sechs beruhigte sich mein Bein langsam.
Da kam dann der Aufstieg. Vollkommene Selbstüberschätzung Frau Stache. Im Training in Berlins Innenstadt laufe ich im Schnitt 20 Höhenmeter bei einem 15km Lauf. Meine Ausdauer war komplett dahin. Immer wieder ging ich Passagen und sah nur noch Omas um mich herum. Immerhin war die Landschaft so schön, dass das Leiden damit entschädigt wurde und die Zeit fürs Foto machen konnte ich mir nun auch locker nehmen. Ab und zu traute ich mich nach hinten zu blicken. Mit der Befürchtung, den “Reste-Sammel-Wagen” hinter mir zu sehen. Der kam noch nicht. Also weiter. Und dann war es so weit. Wo es bergauf geht, geht es irgendwann auch wieder bergab. Bestimmt 3km lang lief ich nun schön bergab. Ein Traum. Endlich wieder zu Atem kommen und ein einheitliches Tempo erreichen.
Meine Energie war dennoch am Ende. Um mich herum litten alle. Kaum einer lief noch durchgehend und trotzdem war es ein Spektakel. Ich hatte wieder etwas Selbstvertrauen gefasst und mein zwischenzeitlich gesetzes Ziel auf “wenigstens unter 3 Stunden ankommen” ad acta gelegt. Denn beim Bergablaufen überholte mich der Pacemaker mit seinem “02:30:00” Schild. Vollkommen verblüfft, dass ich noch halbwegs im Rennen war, zog ich mein Tempo an. Bergab sollte ich den Schnitt für 2:30 ja wohl schaffen. Und das tat ich dann auch. Ich schaffte etwas Abstand zu diesem Herrn und lief und lief. Ich konnte wirklich gar nicht mehr. Weiterhin wechselte ich ins Gehen und begann zu rechnen. “Um unter 2:30 ins Ziel zu kommen musst du jeden Kilometer in unter 7:30 Minuten schaffen”. Normalerweise ein Kinderspiel. Aber nicht, wenn man zwischendrin geht. Dann nach gefühlten 10 Jahren sah ich die Burg wieder. Halleluja. Ich zog durch und sogar das Tempo noch einmal an für den Zieleinlauf – ich musste fast kotzen. Doch ich kam ins Ziel nach Netto 02:29:25 – Platz 2150 von 2407 – das war ausbaufähig – dennoch war ich überglücklich.
Schnell holte ich meine Sachen und zog mir 5 warme Schichten an. Die zuvor entdeckten Kuchen und Cupcakes ließ ich links liegen, da mir immernoch schlecht war. Kurz erkundete ich Conwy und entschied dann, statt umständlich auf den Bus zu warten, die 1,5 Stunden zu Fuß zu den Couchsurfern zurückzulegen. Dies funktionierte auch wunderbar – zwischendrin schrieb ich Neil, dass ich gut angekommen war und er fragte, ob ich später noch mit Spazieren kommen wolle. Theoretisch ja, ich musste aber erst etwas zu essen kaufen und auch wenigstens duschen. Kein Problem sagte er, ich soll nichts kaufen, essen gäbe es genug. Er fragte dann, wie lange ich noch brauche, woraufhin ich ihm einen Screenshot von meiner Google Maps Karte schickte – noch 30 Minuten. 5 Minuten später stand er mit dem Auto vor mir.
Er hatte den Weg erkannt und holte mich ab. Unfassbar nett. Ich wurde also nach Hause gefahren, bekam einen leckeren Tee mit Milch und Zucker, duschte und aß später ein eigens für mich zubereitetes Sandwich. Ich war fassungslos, wie nett sie alle zu mir waren. Als meine Haare getrocknet waren, zogen wir los zu einem Sonntagsspaziergang mit den Hunden – wieder zum “Little Orme” nur, dass ich als ich allein dort war, nicht mitbekommen hatte, dass es dort Robben gab!


Diese begutachteten wir eine Weile und kehrten später zurück um ein Festmahl zu uns zu nehmen. So lecker und so viel hatte ich schon lang nicht mehr gegessen. Neil hatte auf meinem Couchsurfing Profil gelesen, dass ich gerne Poker spiele und so begab es sich, dass wir nach dem Essen alle eine Runde im Wohnzimmer zockten. Es war sehr witzig und ich konnte auch ein wenig mit meinem Know-how punkten. Doch die gesamte Familie schlug sich gut und wir hatten einen lustigen Abend.
Abreise aus Wales
Am nächsten Morgen waren leider schon alle auf der Arbeit, als ich aufwachte. So schrieb ich nur noch einen Abschieds-Brief – verabschiedete die beiden Hunde und machte mich auf den Weg in die Stadt. Ich hatte noch fast 3 Stunden Zeit, bis mein Zug kam, leider hatte mich das Wetterglück wieder verlassen, es regnete in Strömen und war arschkalt. Selbst die Engländer, die zuvor bei 6 Grad noch mit kurzen Hosen herumliefen, frierten und meckerten über das Wetter. Also setzte ich mich in das nächste Cafe und schrieb Weihnachtskarten. Leider war auch das Cafe ziemlich kalt und ich fror mich halb zu Tode. Nach weiteren zwei Stunden zog ich endlich zum Bahnhof um nach weiteren arschkalten 30 Minuten in den warmen Zug zu steigen. Im Zug merkte ich, dass ich etwas kränkelte und beschloss, dass ich keine Nacht im schäbigen Hostel ertragen wollte. Ich suchte nach Last-Minute Angeboten und fand für 30 Euro ein Hotelzimmer in bester Lage. Dort trottete ich dann hin und war glücklich. Mit Ausblick auf die Kathedrale, 2 Betten, einer Standheizung, eine Teekocher, einer Badewanne und einem Fernseher, hatte ich alles, um zumindest einen halben Tag zu entspannen. Ich besorgte mir noch Verpflegung und ließ es mir gut gehen.




Am nächsten Morgen endete meine kleine schöne Reise und ich beschloss, auch weiterhin noch mehr von England kennenlernen zu wollen – trotz Brexit 😉
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