Es ist nun zweieinhalb Jahre her, dass mir der Floh, den Mammutmarsch schaffen zu wollen, ins Ohr gesetzt wurde. Mit riesiger Motivation ging ich an dieses “Mammut” Projekt. Über einen witzigen Zufall bei Tinder brachte mich das Schicksal zur Trainingsgruppe der EarnYourBacons. Besser hätte es nicht kommen können. Wenn ich mir überlege, was sich seit dem in meinem Leben dadurch getan hat, kann ich nur verwundert den Kopf schütteln.
Akribisch wanderte ich alle zwei Wochen bei den Trainingswanderungen mit, lernte Menschen kennen, mit denen ich noch heute in Kontakt bin und die mich nun schon auf den verschiedensten Wanderungen und auch anderen Lebensbereichen begleiteten. Gemeinsam gingen wir den Mammutmarsch 2016 an – welcher abgebrochen wurde und das weitere Schicksal der EarnYourBacons begründete: denn wenn der Mammutmarsch nicht zu schaffen war, dann geht es eben mit dem Ostseeweg weiter.
Also trainierten wir für den Ostseeweg und traten gemeinsam in Rostock für ein weiteres Abenteuer an. Immer mehr entwickelten wir uns von einer Wandergruppe zu einer Gruppe von Menschen, die aktiv sind und die gemeinsam mit anderen Mutigen alle möglichen Aktivitäten in Angriff nahmen. Wir feierten zusammen Saisonabschluss, grillten, belagerten das Kuchenrausch Cafe und planten den nächsten 100km Marsch.
Doch in der Gruppe gibt es auch Läufer, Paddeler und Genießer, wir steckten uns an mit Ideen, was man noch alles gemeinsam in Angriff nehmen könnte. 2017 trat ich tatsächlich bei drei 100km-Märschen an – irgendwer hatte mich immer angesteckt und ich wollte dabei sein. Gleichzeitig verändert sich natürlich die Wahrnehmung dessen, was ich da tue. Das Wandern als solches machte mir immer mehr Spaß, die Motivation für diese langen, kräftezehrenden Märsche ließ aber auch entsprechend nach.
Der Mammutmarsch 2017 machte uns mit Temperaturen über 30 Grad ordentlich zu schaffen. An meinem Geburtstag fuhr ich zum Dodentocht in Belgien, welcher mit einer Startzeit um 21 Uhr am Abend wirklich fern meiner Wohlfühlzeiten lag und dennoch ein ganz besonderes Erlebnis und ein großes Abenteuer war.
Der Ostseeweg 2017 verband mich unabdingbar mit den lieben Menschen vor Ort und ich traf Menschen auf dem Weg, die hoffentlich immer wieder meine Wege kreuzen werden. Gleichzeitig war dieser 100km Marsch mein härtester, den ich aufgegeben hätte, wenn es geklappt hätte. Ich konzentrierte mich in den kommenden Monaten wieder mehr aufs Laufen – ich setzte mir neue Ziele auch fernab des Wanderns.
Für 2018 hatte ich mich für den Halbmarathon und den Marathon angemeldet und wollte meinen Fokus mehr aufs Laufen legen. Zwischendrin fand ich endlich auch meine erste eigene Wohnung – dreimal dürft ihr raten, natürlich durch Kontakte aus der Wandergruppe. Noch kurz vor meinem Umzug ließen wir das Wanderjahr 2018 mit der Polarnacht und unserem unvergesslichen Usedom Wochenende beginnen.





EarnYourBacon wuchs und wuchs und die Zeit und die Erlebnisse verbanden viele von uns über das Wandern hinaus. Beim Winterostseeweg von 50km wanderte mein Vater untrainiert 2 Stunden vor mir ins Ziel, während ich seit neuestem mit starken körperlichen Beschwerden zu kämpfen hatte. Irgendetwas in meinem Bein verhinderte, dass ich Joggen konnte und mein letzter Versuch, dies zu ignorieren, endete damit, dass ich nicht mal mehr gehen konnte. Physiotherapie und Reha-Sport waren nun Programm – zum Winterostseeweg startete ich meinen ersten Versuch, wenigstens wieder wandern zu können. 2018 ging also gänzlich ohne Joggen weiter.
Meine Pläne und Ziele für 2018 musste ich erstmal auf Eis legen und anstatt zog ich von Arzt zu Arzt. Leider konnte bis heute keine Lösung für meine Beschwerden gefunden werden, ich war dennoch froh, dass ich immerhin wandern konnte und so verbrachte ich nun wirklich mindestens jedes zweite Wochenende mit diesem Hobby und eigentlich auch meinen restlichen Alltag. Es verging kaum ein Morgen, an dem ich nicht vor der Arbeit eine Stunde spazieren ging. Das Laufen fehlte mir als Möglichkeit, mich auszupowern – ich ging mehr ins Fitnessstudio und übte mich im Powerwalking – mein neues Ziel war es, denn Berlin Halbmarathon walkend immerhin vorm Besenwagen ins Ziel zu bringen. Meine Walking-Karriere war geebnet. Es verlangte zwar einiges an Selbstbewusstsein, gehend an den Start zu gehen, aber nach den ersten 5-10km ließ das Gemurmel um mich herum langsam nach (“Mensch, wieso kann die denn so früh schon nicht mehr…”).

Selbstverständlich dreht sich mittlerweile auch mein Urlaub nur noch ums Wandern. Ich wanderte in Georgien, in Armenien, in Mazedonien, Albanien, in Italien, in Bayern, in New York war es dafür ein wenig mehr Shopping 😉












Ursprünglich war ich zum Halbmarathon beim Rennsteig angemeldet, weswegen ich mich gegen eine dritte Teilnahme am Mammutmarsch entschieden hatte. Den Halbmarathon musste ich wegen meiner Laufprobleme zur 17km Wanderung ummelden und so entschied ich mich, zumindest auf der Zielgerade meinen Kumpel beim Mammutmarsch zu begleiten.



Sofort merkte ich, dass ich nach wie vor Bock hatte, diese Herausforderung zu bewältigen. Meine Trainingswanderungen liefen wieder besser und ich merkte, dass ich immer mehr Energie hatte, meine Wanderungen in einer für mich neuen Geschwindigkeit anzugehen.



Beim kleinen Ostseeweg von 50km mussten meine Mitstreiter vielleicht etwas darunter leiden und ich wurde fortan als Antreiberin betitelt 😀 Nach wie vor ist der Streckenrekord von meinem Vater allerdings nicht von mir geschlagen, so sehr ich es auch versucht habe. Meine letzte große Trainingswanderung lief noch mal super und ich fühlte mich für den Dodentocht gewappnet.

Der Dodentocht war wieder ein Fest, wer andere 100km Märsche kennt, weiß, dass man sonst wenn man Glück hat im Ziel ein wenig angefeuert wird, in Belgien kann man sich daran fast gewöhnen. So geschmiert lief bei mir noch kein Hunderter. Trotz nicht aufhören wollendem Regen hatte ich genug Energie, das Ding gut durchzuziehen und war beflügelt davon, dass ich viel später in die schlimme Müdigkeit fiel, die mich zuvor schon so oft nah ans Aufgeben gebracht hatte. Allerdings merkte ich auch, dass die Motivation für diesen Höllenkampf für mich immer neu erfunden werden muss. Einfach nur schaffen zog schon lange nicht mehr.








Ich bin ein Zahlenmensch. Ich hielt mich damit am Wandern, dass ich es vielleicht einmal unter 20 Stunden ins Ziel schaffen würde. Das habe ich vorher nicht erwartet, aber plötzlich rechnete ich hin und her und merkte, dass das mehr als realistisch schien. Auf dem Weg lernte ich viele interessante Personen kennen, zwei ältere Herren, die bereits 22 und 27 Mal diese Qualen überstanden hatten, zwei junge Belgier, die es wenigstens einmal schaffen wollten und bereits das dritte Mal an den Start gingen. Einen jungen Deutschen, dessen dritter Hunderter es war, der dennoch nicht verstehen konnte, wieso dies mein Hobby sein kann. Meine Freundin Conny gehört ja schon fest zum Bestand meiner 100km Zieleinläufe und so unterstützte sie mich auch dieses Mal wieder bei meinem bekloppten Versuch, diesen Marsch zu überleben, auf den letzten 20 Kilometern.








Interessanterweise fühlten sich diese genauso beschissen an, wie die letzten 20km wenn ich 3 Stunden langsamer unterwegs bin – meine Beine fühlten sich an, wie aus Gummi und ich hatte immer wieder das Gefühl, jeden Moment umzukippen. Mir war schlecht und ich schwitzte wie ein Affe. “Warum?” oder “Ich hasse wandern” schrie ich immer mal laut vor mich hin. Nach 18 Stunden stapfte ich ins Ziel und war wie so oft relativ gefühlskalt was das anging. Ich war zu erschöpft, um mich zu freuen, sammelte meine Urkunde und meinen Orden ein. Ich musste mich unbedingt hinsetzen, sonst kippe ich um.
Der Weg zum Zeltplatz kam mir sehr lang vor. Zunächst versuchte ich es barfuß, doch meine Füße und der Asphalt vertrugen sich auch nicht. Also wieder in die Wanderschuhe. Irgendwie, irgendwann, erreichten wir den Zeltplatz. Ich kramte meine Isomatte hervor und legte mich hin. Sobald meine Augen zufielen hatte ich das Gefühl, bewusstlos zu werden, also setzte ich mich wieder auf und versuchte nun anstatt, mich noch ein wenig wach zu halten, etwas zu essen und zu trinken. Wenn ihr glaubt, ich schaffte es an diesem Abend noch zur Dusche, dann habt ihr euch getäuscht.
Meinen größten Respekt haben die, die diese Anstrengung noch über sich gebracht haben. Nach und nach trudelten die anderen EarnYourBacons auf dem Zeltplatz ein, alle erschöpft aber glücklich – jeder mit seiner eigenen Geschichte: Max, der sich entschied, auf den letzten 40km einfach mal zu rennen – oder Michelle, die ihren allerersten Hunderter einfach mal unter 20 Stunden gerockt hatte und Miri, die sofort verkündete, dass das nun wirklich ihr letzter Hunderter war. So hielten wir es tatsächlich noch bis zum Einbruch der Dunkelheit aus, bevor wir einer nach dem anderen in unsere Zelte krochen und hofften, die Nacht über nicht zu sehr zu frieren. Ich wünschte, ich hätte ein Video vom Zeltplatz an diesem Tag, Hunderte sich langsam und humpelnd fortbewegende Wanderer, die zur Toilette oder Dusche schlurften – ein Bild für die Götter.
Am darauffolgenden Tag waren die meisten Schmerzen bereits vergangen, nur große Erschöpfung blieb zurück. Keine Ahnung, wie Cornelius es schaffte uns 8 Stunden lang mit dem Auto zurück nach Berlin zu fahren.
Am Donnerstag danach trat ich mit meiner Firma beim B2Run – Firmenlauf an. Fünf Tage nach dem Dodentocht – passierte das kleine Wunder: Ich bin tatsächlich durchgerannt. Wie eine langsame Schnecke zwar – aber ich bin durchgerannt.
Ob das nun so bleibt, kann ich noch nicht absehen – ich versuche mein Glück nicht sofort überzustrapazieren – aber ich merke, dass ich neue Abenteuer und Herausforderungen brauche. Der Gedanke an den Ostseeweg, welcher in 4 Wochen stattfindet, lässt mich noch erschaudern. Ich freue mich riesig auf die Leute, aber so gar nicht auf den Hunderter. Ich weiß nicht ganz, woher die Motivation kommen soll, aber ich werde es erfahren – was mein Kopf sich dieses Mal dazu ausdenkt. Ganz bewusst hatte ich den Dodentocht für mich genutzt, alleine einen Hunderter durchzuwandern, mich selbst einzuteilen – Zeit mit mir selbst und diesem Endgegner zu verbringen, denn ich wusste, dass ich beim Ostseeweg ganz sicher nicht allein sein werde und will.
Die nächsten Herausforderungen werden sicherlich andere, neue sein. Ich habe für den Herbst eine Tour von Toulouse nach Andorra geplant: Mit Zelt und allem nötigen Gepäck im Rucksack – meine erste Wanderung mit mehreren Tagesetappen – ganz alleine. Als ich Anfang August Torsten 15km seiner 1.000km langen Deutschlanddurchquerung begleitete, löcherte ich ihn zu Planung und Equipment und die nächsten Ideen und Vorstellungen wuchsen in mir.
Ich bin sehr dankbar, dass ich kleiner Couchpotatoe in diese Wanderwelt geraten bin – es hat mein Leben wirklich sehr verändert und ich bin gespannt, wohin der Weg mich noch führt.
Eine schöne Geschichte und ich kann sie sehr gut nachvollziehen. Manchmal entwickeln sich Dinge zu Beginn ganz einfach, ob es nun Schicksal oder Fügung ist, weiss ich auch nicht. Es hätte auch Alles ganz Anders laufen können. Schön ,daß Vieles in Deinem Sinne gelaufen ist. Aber Du hast ja auch einen gewissen Anteil am Verlauf der Entwicklung, und ab und an gibt es halt glückliche Fügungen.
Schön zu lesen, dass Du den Ostseeweg dieses Jahr wieder läufst. Mir fehlt nach Berlin auch etwas die Motivation, und ich bin seit dem auch nicht wirklich viel gewandert.
Vielleicht finde ich dieses Mal den Mut, Dich anzusprechen, oder ich zwinkere Mal oder winke Dir von Weitem zu *g*. In Berlin war ich kurz davor, aber ich dachte mir, dass es für Dich recht seltsam wäre, wenn Dich Jemand wildfremdes anspricht, den Du gar nicht kennst, aber der Deinen Namen kennt.
Die Idee mit Rucksack und Zelt über mehrer Tage zu wandern, finde ich auch toll. Wenn ich mehr Zeit hätte, wurde ich gern mal den Appalachian Trail wandern. Aber da bräuchte ich 4-5 Monate Zeit.
Ich drücke Dir schon mal die Daumen für den Ostseeweg und ich bin mir sicher, daß Du genügend motiviert bist, wenn es soweit ist. Auch wenn ich nach meinem ersten 100er keine Lust mehr auf weitere Extremwanderungen verspürte, so weiss ich doch, dass ich die 100km im September meisstern und auch geniessen werde. Vielleicht bleibt es ja nicht meine 2. und letzte 100km Wanderung, was ich aber noch bezweifle *g*.
Viel Glück und Erfolg schon einmal für Deine zukünftigen Projekte/Vorhaben 😉
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Hallo Nina,
zuerst einmal Herzlichen Glückwunsch noch nachträglich zum Geburtstag! Es ist wieder sehr erfrischend und spannend in deinem Blog zu lesen. Als Wanderverrückter kommt ja eigentlich nicht daran vorbei 😉
Ich kann mich noch gut daran erinnern wie du beim letzten Dein Ostseeweg in der besagten Kurve gesessen hast… (zu dem Zeitpunkt dachte ich aber nicht daran das du aufgeben wolltest!) Wir glaubten du machst einfach nur ne Pause, schließlich hatten wir schon soviel von dir gelesen und waren der Meinung: Die weiß was sie tut…:-D
Schon beachtlich was dazwischen alles an Veranstaltungen gelaufen ist… Schön das du inzwischen Gefallen am Nordic Walking gefunden hast! Das ist ja meine Spezialstrecke… als ihr zum Dodendocht ward fand für uns #sundwalker die 10. Panorama Tour Sächsische Schweiz statt. Kann ich nur empfehlen! Falls du magst: https://photos.app.goo.gl/mw8psALh2JBVZiar5
Jetzt gilt es sich auf den Ostseeweg vorzubereiten und herauszufinden ob es beim ersten Mal nur Zufall war. 😉 Eventuell sieht man sich… ansonsten weiter so gute Berichte mit so vielen spannenden und emotionalen Eindrücken.
Liebe Grüße aus dem Nordosten, Dirk
/Dirk Hauschild /
/(Alles Schöne im Leben ist unmoralisch, illegal oder macht dick!!!)/
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Sehr schöner Abriss über deine Wandererfahrungen. Hab die Erfahrungsberichte mit viel Interesse und Neugier gelesen auch um mich selbst wieder für den Dodentocht zu motivieren…hat geklappt 🙂 Klasse Leistung. Bleib am Ball!
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