Reisen

Nina versucht sich an Bosniens Geschichte

Mir war schon vor meiner Reise klar, dass ich quasi nichts über Bosnien und Herzegowina weiß – das Ausmaß meines Unwissens und die Faszination, die davon ausging, was ich in den vergangenen Tagen erfahren konnte, war mir jedoch nicht annähernd bewusst.
Als 89er Baujahr kann ich immerhin die Entschuldigung hervorbringen, dass ich noch ein sehr kleines Kind war, als sich der Bosnienkrieg zutrug und leider war ich nie genug Geschichts- bzw. Politikinteressiert, um mich im Nachhinein mit Jugoslawien zu beschäftigen.
Bei meiner Reise nach Serbien habe ich schon ein wenig aufgeschnappt, mich allerdings später nicht noch mal eingehender mit der Thematik beschäftigt. Bereits vor meinem Urlaub fielen mir beim Recherchieren allerdings einige Dinge auf, wie zum Beispiel das “War hostel” in Sarajevo, welches wie zu Kriegszeiten mit Feldbetten und anderen Kriegsutensilien eingerichtet war. Dies erschien mir ziemlich absurd aber auch andere Hostels trugen Namen wie “Franz Ferdinand” welcher ja mit dem Attentat von Sarajevo und dem Auslöser des ersten Weltkrieges in Verbindung gebracht wird, oder “Doctors House”, was erst später von mir verstanden wurde. Auch wenn man nach Sehenswürdigkeiten recherchierte, fand man doch relativ viele mit dem Krieg verbundene Denkmäler und Touren. 
Dann kam der Zeitpunkt meine Reise allerdings schneller als gedacht und einen Reiseführer hatte ich auch nicht, also zog ich vollkommen unwissend los. Erst als ich in Mostar eine Postkarte in der Hand hielt, auf welcher die Stadt in der ich mich gerade befand – vollkommen zerstört zu sehen war, mit einem Datum, was noch gar nicht lange her war, begann ich wieder darüber nachzudenken. Abends im Hostel versuchte ich bei Youtube etwas mehr zu erfahren, war aber oft sehr müde und konnte nicht mehr so viele Informationen aufnehmen. Auffällig war weiterhin, dass in Mostar immer noch einige Ruinen standen, die nach dem Krieg nicht neu errichtet wurden und die Währung “Konvertible Mark” hörte sich auch nicht nach der ursprünglichen Währung Bosniens an. Immer wieder war ich fasziniert von dem friedlichen Nebeneinander von katholischen Kirchen, Moscheen und orthodoxen Kirchen, ob es wirklich so war, wusste ich allerdings nicht. Die großen Hauptstraßen hießen sowohl in Mostar als auch in Sarajevo Marschall Tito Straße, und auch zwischendrin schnappte ich auf, dass Tito schon ein ganzschöner Held gewesen sein musste, wobei ich lediglich wusste, dass er ein Diktator war, was mich umso mehr verwirrte. 
Mostar 1994
Denkmal für die ermordeten Kinder
Erst die Tour zu dem Tunnel in Sarajevo brachte dann Licht ins Dunkle. Verbessert mich gerne wenn ich falsch liege, ich finde vieles nach wie vor etwas verwirrend und habe mich nun noch nicht ewig mit dem Thema beschäftigt, aber irgendwie habe ich das starke Gefühl, dass ich mehr darüber wissen muss und es auch mit euch teilen sollte, für den Fall, dass auch ihr nichts oder kaum davon wisst. Mich hat es sehr berührt, dass jeder, der knapp über 20 Jahre alt ist in Bosnien diesen Krieg mitbekommen hat, dadurch fühlt es sich so nah und greifbar an, was man sich in Good old Germany ja oft nicht so vorstellen kann.
Nun aber los. Josip Broz Tito war bis zu seinem Tode im Jahr 1980 diktatorischer Staatschef Jugoslawiens und das schon ziemlich lange nämlich seit 1945. Jugoslawien setzte sich aus den Ländern Serbien, Montenegro, Bosnien Herzegowina, Mazedonien, Slowenien und Kroatien zusammen und wurde von Tito mit all seiner Kraft zusammengehalten. Nach den Erzählungen des Tourguides tat Tito alles dafür, Jugoslawien zusammenzuhalten und unterdrückte jegliche Handlungen die die Unabhängigkeit der einzelnen Teilrepubliken fördern sollten. Als er 1980 starb begann sich das Blatt zu wenden und der serbische Politiker Slobodan Milosevic begann seine politische Macht immer stärker auszuweiten, bis er 1989 Präsident der serbischen Teilrepublik wurde. Was genau die Bestrebungen Serbiens bzw. Milosevics waren, da spalten sich noch heute die Geister.  Natürlich spielten dann auch finanzielle Aspekte eine große Rolle. Die Gelder wurden unterschiedlich auf die verschiedenen Teilrepubliken verteilt und es herrschte eine extreme Inflation. Egal wie Jugoslawien begann immer mehr auseinanderzubrechen und die einzelnen Staaten forderten ihre Souveränität ein. Insbesondere Serbien unter der Einflussnahme von Milosevic wollte sich stärken und er vollzog einige Tricks, um Serbiens Rolle zu stärken. Die jugoslawische Führung versuchte mit allen Mitteln und mit großer Hilfe Milosevics diese Bestrebungen zu verhindern. 1991 begann in Slowenien der Krieg zwischen Jugoslawien und der Teilrepublik Slowenien. Ab 1992 begannen die Auseinandersetzungen in Bosnien, welches durch die ethnisch/religiös besonders stark durchmischte Bevölkerung besonders stark und besonders lange vom Krieg betroffen war.
Die Konfliktparteien waren dabei die katholischen Serben, die ca. 1/6 der Bevölkerung ausmachte, den muslimischen Bosniern (Bosniaken) mit fast der hälfte der Bevölkerung und den orthodoxen Serben, die ca 1/3 ausmachten. Serbiens Ziel war es dabei insbesondere die Teile Bosniens mit einem hohen Anteil an Serben für sich zu gewinnen. Die Situation begann immer stärker zu eskalieren, als jede der Bevölkerungsgruppen innerhalb Bosniens die Unabhängigkeit für sich beanspruchen wollten.
Im April 1992 wurde dann der Flughafen von Sarajevo von der Jugoslawischen Volksarmee eingenommen, was die Belagerung Sarajevos einläutete und die Kämpfe in der gesamten Teilrepublik beginnen ließ. Landesweit wurden jeweils von den drei Konfliktgruppen Internierungslager eingerichtet und nun auch Massentötungen von den serbischen Bosniern in diesen Lagern durchgeführt. Hauptsächliches Ziel war jedoch die systematische ethnische Säuberung der muslimischen bosnischen Bevölkerung. Die Anzahl der bosnischen zivilen Opfer im Krieg betrug daher ca 80% der insgesamt 100.000 getöteten.  Der Krieg dauerte bis 1995 an und ich empfehle jedem sich einmal eingehender mit dem genauen Vorgang zu beschäftigen, für mich scheint das alles ziemlich wirr und sehr komplex. 
Tunnelmuseum
Ich habe in Sarajevo den Tunnel besichtigt, welcher die Stadt während der Belagerung von 1992 – 1995 mit Lebensmitteln versorgt hatte, Politikern die Ein- und Ausreise ermöglichte und als Fluchttunnel diente. Der Tunnel führte unter dem Flughafen entlang und verband das belagerte Sarajevo mit einer nicht belagerten bosnischen Gemeinde. Der Flughafen war von den Vereinten Nationen eingenommen worden, die ein Abkommen mit Serbien hatten, diesen nur für ihre Zwecke zu nutzen. Dies war allerdings damit einhergehend, dass Srajevos letzte Verbindung zur Außenwelt abgeschnitten wurde. Die bosnische Regierung wusste von dem Bau des Tunnels und unterstützte mithilfe von Materialsammlungen, es wurde 24/7 an dem Tunnel in drei Schichten gebaut – er war überlebenswichtig für die Bevölkerung Sarajevos. Es scheint fast ein Wunder, dass dieser Tunnel nicht gänzlich entdeckt bzw. zerstört wurde. Zunächst mussten alle Waren durch den Tunnel getragen werden, später wurden schienen und ein Transportsystem eingeführt. Den Tunnel zu durchqueren dauerte bis zu 2 Stunden und täglich durchliefen ihn bis zu 4.000 Menschen. Dabei musste immer Vertuschungsarbeit geleistet werden, schließlich konnte diese Menge an Menschen nicht einfach so an einer Stelle aus einem Loch hervorkriechen. Daher musste ein Großteil des Lebensmitteltransportes nachts abgewickelt und der Eingang durch die bosnische Armee abgesichert werden.
Komplett umzingelt
Ein Großteil des Tunnels musste zugunsten des Flughafens und einhergehender Einsturzgefahr abgerissen werden, allerdings konnte ich den Eingang und die 20 m des noch bestehenden Tunnels begutachten, was heute einen Teil des Tunnel-Museums ausmacht. Die Videos und Bilder, die ich dort vom Krieg zu sehen bekam waren wirklich schockierend. 
20 Meter Tunnel bleiben heute noch zur Besichtigung
Natürlich stellte sich mir die Frage, wie die Bevölkerung heute zusammenhält, nachdem die Fronten so stark gegeneinander aufgehetzt wurden. Man kann schon verstehen, warum Tito im Nachhinein so gehypt wurde, da er stets versucht hatte das zu verhindern, was später dann doch eintreten sollte.
Zum einen besteht Bosnien auch heute noch aus der Föderation Bosnien und Herzegowina und der Republika Srpska, welche größtenteils von bosnischen Serben bewohnt wird. Dies konnte ich beim Fahren durch das Land auch sehr gut erkennen, in der Republika Srpska sieht man plötzlich wieder die in Serbien üblichen kyrillischen Buchstaben sowie serbische Flaggen, in Bosnien und Herzegowina wird die lateinische Schrift und die bosnische Flagge aufgehängt und die merhrheitliche Bevölkerung besteht aus Bosniaken und kroatischen Bosniern. Soweit ich das verstanden habe, bekommen die verschiedenen Ethnien auch verschiedene Pässe, leider konnte ich das nirgendwo nachlesen. Ich verstand es so, dass die Bosniaken lediglich einen bosnischen Pass bekämen, die serbischen Bosnier allerdings sowohl den serbischen, als auch den kroatischen Pass erhielten? Oder den bosnischen und den kroatischen?
Die Konvertible Mark wurde 1998 eingeführt, da bis zu diesem Zeitpunkt alle drei ethnischen Gruppen weiterhin mit ihrer eigenen Währung arbeiteten, die Deutsche Mark wurde damals jedoch bereits häufig inoffiziell als Währung gehandelt und so entschloss man sich die Konvertible Mark, welche direkt an die Deutsche Mark gekoppelt wurde einzuführen, da keine der drei Bevölkerungsgruppen sich in dieser Form benachteiligt fühlen konnte.
Der Guide erzählte weiter, dass große Städte, wo das Bildungsniveau höher war, wie Mostar oder Sarajevo über gemeinsame Schulen verfügen und das Zusammenleben der einzelnen Religionen und Kulturen wunderbar funktioniere, dass allerdings in kleineren Orten und Dörfern Schulen über unterschiedliche Eingänge für jede Bevölkerungsgruppe verfügen, die Kinder unterschiedlichen Unterricht erhalten und eine klare Trennung erzwungen wird. 
Weiterhin scheint auch das politische System einer wahren Katastrophe zu gleichen, laut wikipedia sei das bosnische System wohl das komplizierteste der Welt. Anscheinend sind jeweils drei Regierungschefs an der Macht wobei in 8 Monatszyklen rotiert wird. Da kann man sich ja gut vorstellen, wie viel man in dieser Zeit umsetzen kann, insbesondere, wenn alle drei unterschiedliche Interessen und Belange vertreten.
Die wirtschaftliche Lage scheint desaströs, die Arbeitslosigkeit liegt bei ca. 43% und das Durchschnittseinkommen beläuft sich auf 300-400 € pro Monat. Noch heute soll man nicht von bebauten Wegen abkommen und auf keinen Fall ohne einen erfahrenen Guide wandern gehen, da das gesamte Land noch von Minen übersäht ist.
 
Achtung Minen!
Das Hostel mit dem Namen „Doctor`s House“ bezieht sich im übrigen auf einen Arzt, der ähnlich wie Mengele im Zweiten Weltkrieg Experimente an Menschen durchführte. Bei meiner Recherche fand ich keine eindeutigen Ergebnisse, wer genau dieser „Doktor“ war, ich vermute jedoch, dass es sich dabei um Radovan Karadzic handelt, aber auch hier würde ich gerne noch mehr erfahren.
Holiday Inn in Kriegszeiten
Dieses Haus blieb als einziges Haus unzerstört, da dort Reporter und Journalisten aus aller Welt zur Berichtserstattung aus dem Kriegsgebiet untergekommen war und die UN Schutzgelder an die serbischen Kräfte schickte. Focus Artikel von 1994 über das Holiday Inn
Holiday Inn Heute
Wie ihr seht bleiben auch bei mir noch viele Fragen offen und ich musste feststellen, dass ich einiges nur sehr schwer recherchieren konnte und nicht weiterkam. Am besten bereist ihr selber einmal Bosnien und macht euch euer eigenes Bild. Ich würde mich auf jeden Fall freuen, wenn mir jemand meine offenen Fragen beantwortet, Fehler berichtigt oder seine eigene Perspektive aufzeigt!

 

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